Was für ein Film ...!

 

Ein Paarberater wird aufgeklärt

 

Also, die gute Nachricht zuerst: Mein Job ist gesichert.

Das weiß ich seit gestern, als das Ehepaar Hohlmann – den Namen habe ich für diesen Artikel geändert – zur Beratung kam und ich über meine Defizite aufgeklärt wurde.

Herr Hohlmann eröffnete nämlich die Schilderung seines aktuellen Problems mit den Worten: „Vor zwei Wochen habe ich meine Frau mit einer anderen betrogen, die ich über ein Affärenportal im Internet kontaktet und kennengelernt habe. Das sollten Sie kennen, wenn Sie Paarberatung machen. Es ist mit 17 Millionen registrierten Mitgliedern das größte weltweit.“

Ich kannte es nicht, heute habe ich es mir allerdings – zwecks beruflicher Zukunftssicherung – 

angeschaut.

Doch der Reihe nach.

Denn erst mal sagt Frau Hohlmann: „Ich hätte nie für möglich gehalten, dass ich einmal die Mails und das Handy von meinem Mann überprüfen würde. Ich kenne mich nicht wieder. Das bin ich eigentlich gar nicht.“

So war dann nach drei Monaten doch alles rausgekommen – diesen Weg des erzwungenen „Outings“ über das Checken der neuen Medien kenne ich aus zahlreichen anderen Beratungen – und der erste Notfall-Termin vehement eingefordert worden.

Beide Ehepartner sitzen mir ausgesprochen verwirrt-niedergedrückt gegenüber und ich spüre die nonverbale Bitte von beiden Seiten: „Sagen Sie uns, was wir tun sollen!“ Verbunden mit dem Fragezeichen: „Haben wir nach so was noch eine Chance?“

Ich entscheide mich für das Einholen weiterer Informationen. Ja, Herr Hohlmann hat sich bewusst im Portal angemeldet, um „es“ nach zehn Jahren Ehe noch einmal mit einer anderen Frau zu erleben. Ja, natürlich habe er es vor seiner Frau zu verheimlichen versucht. Ja, natürlich hatte er große Angst, dass sie ihn dann verlassen würde. (Unterton: Wie doof kann mann fragen?!)

Und ja, ich dürfe ihm auch sagen, dass ich das für „relativ naiv“ halte, wenn er davon ausgegangen sei, dass das alles nichts zwischen ihm und seiner Frau ändern würde, selbst wenn das mit dem Verheimlichen geklappt hätte.

Die Handynummer der Affäre sowie die extra für diesen Kontakt angelegte Mailadresse seien jetzt gelöscht und er wisse ja, dass „er großen Mist gebaut habe“.

Das Fatale sei, dass er alles in Sachen Seitensprung seiner Frau nur häppchenweise gebeichtet habe mit gelegentlichen Rückfällen in das Abstreitmuster und „meine Frau mir nun überhaupt nichts mehr glaubt“.

An dieser Stelle muss ich nun Ihnen, liebe Leserin, lieber Leser, beichten, dass sich mein Mitgefühl „unter Männern“ gegen Null bewegte, und ich dachte meinerseits: Wie blöd kann mann eigentlich sein?

Erst beim Sichten der einschlägigen Seitensprung-Portale wurde mir klar, dass die triebgesteuerte Blödheit (geschlechterübergreifend) sehr geschickt gelenkt und verharmlost wird, damit sie besser zu Geld zu machen ist.

Da erzählt zum Beispiel ein Portalgründer von der ersten Idee vor ca. zehn Jahren: „Dem ganzen Business ging ein Bericht voraus, dass zwischen 30 und 35 Prozent der Leute, die auf Dating-Seiten unterwegs sind, in festen Partnerschaften leben. Also dachten wir uns, was wäre, wenn es einen Dating-Service gäbe, wo man niemandem etwas über seine wahren Beziehungsverhältnisse vormachen muss, sondern ganz klar macht: ‚So lebe ich, das sind meine familiären Verhältnisse. Ich suche eine aufregende Affäre, aber ich will dafür meine Ehe nicht aufs Spiel setzen. Gibt es jemanden, der das genauso sieht?’“

Konkret wird geschickt suggeriert: Du bist ja nicht alleine. Alles ist easy: Affäre und Eheretten passen zusammen. Du musst nur bei uns Mitglied werden.

Heute in der Sitzung ist Herr Hohlmann allerdings so was von alleine, das muss sich extrem besch... anfühlen.

Und da sagt dann plötzlich auch noch seine Frau: „Okay, das wäre wahrscheinlich alles noch einigermaßen zu handhaben, aber ich bin im fünften Monat schwanger und wir haben schon eine dreijährige Tochter.“

Ach nö, zuckt es mir durchs Hirn, nicht auch das noch ...

Und ich spüre eine spontane Wut auf diese instrumentalisierte Augenwischerei der neuen Dating-Portal-Generation. Später lese ich die Antwort des interviewten Geschäftemachers: „Ironischerweise haben wir schon so manche Partnerschaft oder Ehe dadurch gerettet, dass wir Abhilfe schaffen konnten, wenn einer der Partner unter mangelnder sexueller oder emotionaler Befriedigung gelitten hat. Alle anderen Lebensfaktoren können ja stimmig sein, tolle Karriere, süße Kinder, wunderbare Familie. Aber es bleibt der eine Mangel. Bei uns wird keiner dafür verurteilt, weil jedes Mitglied weiß, warum die anderen Mitglieder bei uns sind. Und ich bin sicher, dass so manche, die ihre sexuellen Leidenschaften mit unserem Portal befriedigen konnten, jetzt auch wieder bessere Ehepartner sind.“

Na, super, und was mache ich nun mit den Hohlmanns?

Ich greife den verzweifelt formulierten Satz von Frau Hohlmann „Ich weiß gar nicht, in was für einen Film ich jetzt geraten bin“ auf und frage: „Was für einen Titel hat denn dieser Film möglicherweise?“

Frau Hohlmann schaut mich direkt an und überlegt. Dann sagt sie: „Aufwachen!“ und noch mal: „Aufwachen heißt der Film.“

„Und wovon handelt der Film Aufwachen?“

Frau Hohlmann ist um eine Antwort nicht verlegen: „Darin geht es um die Frage, was eigentlich wirklich los ist zwischen uns, was in den letzten Jahren mit uns passiert ist, dass mein Mann für so etwas anfällig geworden ist. Ob wir uns wirklich noch lieben. Und das alles soll bitte eine Schnulze mit Happy End werden.“

Frau Hohlmann schaut jetzt offen zu ihrem Mann. Der schaut an ihr vorbei und scheint sich weiter zu schämen.

Guter Ansatz, mal sehen, was da noch gehen könnte, denke ich.

„Aber ich komme nicht damit klar, dass mein Mann mich so lange belogen hat!“, sagt Frau Hohlmann in meine Gedanken, als hätte ich das noch nicht ausreichend gehört.

Also greife ich es auf und sage: „Und das besonders Schlimme daran ist, dass Ihr Mann Sie so lange belogen hat.“

Jetzt entsteht erst einmal eine Pause, die Herr Hohlmann mit den Worten beendet: „Ich habe doch gesagt, dass ich jetzt ehrlich zu dir bin. Und darum sage ich dir auch noch das, was fehlt. Ja, wir haben uns öfter getroffen, als du bisher weißt.“

Frau Hohlmann fängt an zu weinen und legt ihre Hände schützend auf ihren Bauch.

Leise sagt sie vor sich hin: „Hört das denn gar nicht mehr auf?!“ und meint die Salami-Informationspolitik ihres Mannes.

Ich denke in diesem Moment: Was tun Menschen bloß einander an? Wie kann es angehen, dass das Hirn so ausgeschaltet wird?

 

Später lese ich Folgendes über die Menü-Führung auf den sogenannten Casual-Dating-Portalen:

„Die leichte Bedienung steht dabei klar im Vordergrund. Männer werden beim Schreiben von Mails mit cleveren Tools unterstützt, damit es mit dem Seitensprung auch wirklich klappt. Sonst greift die Vermittlungsgarantie.“

Und die lautet schlicht, wenn auch unter bestimmten Bedingungen: „Das Affären-Garantie-Programm besagt, dass Sie eine Erstattung des bezahlten Betrages für die Teilnahme an dem Programm erhalten können, wenn Sie binnen der ersten drei Monate nach Erwerb des Affären-Garantie-Paketes keine Affäre finden.“ (Frauen zahlen in diesen Portalen ohnehin nichts.)

Das ist doch mal was, wer wird da denn nicht schwach: Fremdgehen mit Garantie!

Das zynisch werbende Motto dazu lautet: Das Leben ist kurz. Gönn’ Dir eine Affäre.® und ist sogar als Markenzeichen geschützt.

Wäre es für Sie in Ordnung, wenn Ihre Frau den Seitensprung-Service nutzt?“, wird der Gründer im Interview gefragt und er antwortet: „Nein, ich wäre ziemlich verletzt, wenn ich das herausfinden würde, und würde denken, dass wir massive Probleme in unserer Ehe haben. Eine gesunde Partnerschaft basiert für mich auf Verständigung, Ehrlichkeit und emotionaler wie auch körperlicher Verbundenheit.“

Boah. Was für eine perfide Doppelmoral im Zeichen der Euro-Scheine!

 

In unserer Sitzung beeilt sich Herr Hohlmann zu ergänzen: „Ich hab dir doch schon so oft gesagt: Das alles hat nichts mit dir zu tun ...“

Meine trockene Erwiderung: „Das könnte ja ein Zitat aus einem Til-Schweiger-Film sein.“ kontert er mit dem verständnislosen Satz: „Ich schaue keine Til-Schweiger-Filme ...“

Heute läuft es irgendwie nicht so gut.

Am Ende der Sitzung ist auch nicht wirklich klar, ob das Ehepaar Hohlmann noch einmal wiederkommt, vielleicht war ich einfach zu befangen.

Vielleicht kriege ich aber ja auch noch eine neue Chance, die Sache mit dem „Aufwachen“-Film wieder aufzugreifen, denn das ist natürlich die Richtung, in die es – so oder so – gehen sollte.

Im Gegensatz zur Affären-Garantie kann ich allerdings keine anbieten.

 

Später lese ich noch weiter die Ergüsse des doppelmoralischen Portalgründers: Statistiken zufolge betrügen fast 60 Prozent aller in einer Beziehung Lebenden. Vielleicht ist das genetisch bedingt, warum sollte man dann also so massiv dagegen ankämpfen? Bei uns kann man zumindest die Risiken minimieren, erwischt zu werden. Aber ganz klar, ohne ein Restrisiko geht auch das Fremdgehen über unseren Service nicht. Und wenn einer von seiner Ehefrau oder dem Ehemann erwischt wurde, dann hatte er vielleicht die Cookies auf seinem Computer nicht gelöscht.“

Ja, dann – steht ja alles drin. Wer sich erwischen lässt, ist selbst schuld. War ja irgendwie klar!

Um den Rest kann sich dann ja die ganze Bagage von Paarberatern kümmern.

 

Wie gesagt: Die gute Nachricht steht ja am Anfang meines Textes, die schlechte zerfrisst zurzeit die Hohlmanns und ihre Familien, die mitzittern.

Wenn es noch eines Beweises bedurfte, dass das hybride Mantra: „Alles ist machbar, alles ist möglich“ für menschliche Beziehungen eben nicht gilt, dann könnte diese Geschichte es belegen. Es bleibt dabei: Achte deine Grenzen und die derer, die du nicht verletzten willst.

 

© Hartwig Hansen

 

Erschienen in der Zeitschrift für systemische Therapie und Beratung  3/2013