Treuer Schweinehund

 

Über die Verdienste eines berühmten inneren Saboteurs.

Und wie man mit ihm ins Gespräch kommt. Eine Intervention.

 

„Wenn ich schon das Wort 'Arbeitsorganisation' höre, kräuseln sich mir sämtliche Fußnägel ...“, stöhnt Herr B. Wir sind mitten in unserem dritten Coachingtermin. Ursprünglich wollte Herr B. einfach „besser werden“ in seinem Job, „nicht überall anecken und überhaupt zufriedener werden“. Heute hatte er zum Einstieg davon erzählt, dass er keine Lust auf ein Seminar im Betrieb habe, in dem es um eine effizientere Arbeitsorganisation in seiner Abteilung gehen soll.

Ich werde neugierig, was ihn bei diesem Begriff so aufregt und gleichzeitig abtörnt.

Meine Frage beantwortet Herr B. nach einer „Ich muss mal eben überlegen“-Pause : „Im Grunde gehe ich schon vor diesem Seminar in die Widerstandshaltung. Ich glaube, das hat irgendwie mit meinem inneren Schweinehund zu tun. Der mag diese lästigen Routinearbeiten nicht, die immer mal wieder anstehen. Dabei lasse ich mich gerne und schnell ablenken und außerdem nehme ich mir zu viel vor und kann dann nicht alles einhalten, was ich verspreche. Und prompt ist mein Umfeld frustriert.“

Oha, so viele interessante Stichwort – welches davon auswählen?

Mich kläfft der „innere Schweinehund“ von Herrn B. an und ich frage, ob wir uns den mal genauer anschauen wollen. „Können wir machen“, sagt Herr B. und schaut dabei mit starrem Blick auf das weiße Blatt des Flipcharts ein paar Meter weiter. Für mich sieht es so aus, als würde sich dort gerade der innerer Schweinehund von Herrn B. vor seinem inneren Auge zusammensetzen. Sinnierend spricht er weiter: „Ich weiß nicht, ob ich den abknallen, zähmen oder auf den Schoß nehmen soll.“

Boah, es geht schon los, Herr B. gewährt seinem Begleiter gedanklichen Auslauf. Nun müssen nur noch die Stifte in Bewegung kommen ... und ich sage: „Herr B., Sie haben eben so intensiv auf das Flipchart geschaut, als wäre dort der innere Schweinehund schon zu sehen gewesen. Können Sie sich vorstellen, ihn dort mal aufzumalen?“

„Hab ich das?“, fragt Herr B. gedankenverloren zurück, steht schon auf und nimmt einen blauen Filzstift von der Chart-Ablage. „Muss hier ja nicht perfekt werden“, sagt er vor sich hin und fängt an zu zeichnen.

 

Es entsteht eine bildliche Mischung – heißen die Dinger in Bayern nicht Wolpertinger? – aus einem Schweineschnauzenwesen und einem stark behaarten Zottelvieh, allerdings mit ausgeprägtem Ringelschwanz.

„Na ja, so ähnlich“, kommentiert Herr B. und tritt zwei Schritte zurück. „Irgendwie so ...“

„Wow, das ist ja doll, das ist also Ihr innerer Schweinehund, alle Achtung, imposant“, sage ich und wir betrachten das Werk ein paar Momente wortlos gemeinsam. „Und, wie ist das jetzt so, wenn Sie den so sehen?“, nehme ich den Dialog wieder auf.

 

B.: Na ja, so ist der, so kenn' ich den. Der läuft mir immer dann zwischen die Beine, wenn ich gerade mal was wegschaffen will und nicht aufpasse. Rumms, kommt der von der Seite und ich schlage lang hin.

H.: Ach so, der innere Schweinehund kommt dann von der Seite und bringt Sie zu Fall, wenn Sie gerade konzentriert an einer Sache arbeiten?

B.: Ja, genau. Der will mich ablenken, der mag keine Langeweile, der will nicht nur geradeaus laufen, der will Abwechslung und Spaß.

„Interessant“, sage ich, „der mag keine Routine und will Spaß haben. – Nur mal angenommen, er hätte einen Namen, damit wir ihn ansprechen könnten, wie wäre der wohl?“

Herr B. wirkt nicht sonderlich irritiert, dass er nun seinem inneren Schweinehund, nachdem er ihn aufgemalt hat, auch noch einen Namen geben soll, und antwortet prompt: „Das ist Beppi.“

„Ja klar, Beppi ...“, sage ich und halte inne, Herr B. tritt nämlich erneut ans Flipchart und malt ein kleines Schild an das Ohr des blauen Schweinehundes. Da hinein schreibt er in Großbuchstaben „BEPPI“ und kommentiert: „Ich komme ja ursprünglich vom Land, da haben die Viecher ja alle diese Marken im Ohr.“

H.: Ja, sicher, Beppi kriegt eine Namensmarke ans Ohr. Steht da sonst noch was drauf? Besitzer, Geburtsdatum, Blutgruppe?

B.: Nee, normalerweise steht da nur die Nummer für das Zentralregister oder so.

H.: Okay, nur mal angenommen, da stünde auch das Geburtsdatum von Beppi drauf. Wann ist Beppi entstanden, wie lange kennen Sie ihn schon?

B.: Oh, den kenne ich schon ganz lange, der saß schon in der Grundschule neben mir. Das wird dann so 1983 gewesen sein ...

Herr B. erweitert die Ohrmarke und schreibt zum BEPPI noch 1983 hinein.

H.: Ach, so lange kennen Sie Beppi schon?

B.: Ja klar, damals hat er mir die Langeweile vertrieben und mich mit interessanten Geschichten abgelenkt. Das war klasse. Ich habe den Frontalunterricht bei Frau Gehrmann gehasst. Da habe ich mich gerne von Beppi entführen lassen und er hat dann immer gesagt: Geradeauslaufen ist langweilig, lass uns Spaß machen.

H.: Beppi hat Ihnen die Langeweile im Unterricht von Frau Gehrmann vertrieben? Spannend.

B.: Wenn ich es mir recht überlege, hat er mich damals regelrecht gerettet. Der war immer für ein Abenteuer gut.

H.: Dann hat Beppi also schon ein paar stattliche Verdienste, die Ihnen gerade wieder einfallen. Gibt es noch weitere?

Herr B. zögert und sagt dann schmunzelnd: „Beppi hat mich auch vor der Karriereautobahn gerettet.“

H.: Noch eine Rettung ...

B.: Ja, er sagt ja immer: Nur geradeaus ist nix. Schau auch mal rechts und links, was es da noch so gibt. Damit fahre ich im Leben ganz gut, finde ich.

H.: Aha, Beppi steht also auch für ein interessantes, nicht so eintöniges Leben, statt nur alles der Karriere zu opfern?

B.: Ja, genau. Er hilft mir, auch mal kreativ zu sein und neue Sachen auszuprobieren ... – (Das machen Sie hier gerade sehr eindrücklich vor, denke ich bei mir.) – Aber er läuft mir dann eben auch manchmal zwischen die Beine, wenn es gilt, etwas konsequent wegzuschaffen. Der ist so wild. Ich kann ihn nicht so gut kontrollieren. Gut wäre, wenn er irgendwie zutraulicher werden würde ...

H.: Zutraulicher. Ja ... wie findet Beppi es überhaupt, dass wir jetzt so über ihn reden?

B.: Ungewohnt. Aber ich glaube, er freut sich, dass wir ihn mal ein bisschen gelobt haben. Ich habe ihn bisher immer nur wegzutreten versucht. Schweinehund eben.

Mir fallen die Anfangsassoziationen von Herrn B. ein.

H.: Sie hatten vorhin gesagt, Sie würden überlegen, ob Sie Beppi abknallen, zähmen oder auf den Schoß nehmen sollen ...

B.: Ja, aber abknallen passt schon nicht mehr, das will ich ja auch gar nicht. – Zähmen ... im Sinne von dressieren ...?

Herr B. überlegt und setzt sich langsam zurück in seinen Sessel. Dann sagt er: „Nee, dressieren lässt sich Beppi nicht. Da würde er nicht mitmachen ... und der ist ja so groß und schwer, soll ich den wirklich auf den Schoß nehmen? Ich weiß nicht ...“ Herr B. überlegt wieder.

„Riecht Beppi eigentlich etwas streng?“, frage ich nach einer Weile. Wir lachen. „Nee, Beppi riecht nicht.“

H.: Fiel mir nur so ein. Also Beppi riecht nicht. Hat er sich über die Jahre verändert? Wird er auch ein bisschen gesetzter, nicht mehr so quirlig-aufgedreht wie in seinen frühen Jahren?

Wieder antwortet Herr B. zügig.

B.: Nein, Beppi bleibt Beppi, der altert irgendwie nicht, das ist ein Energiebündel, der will was haben vom Leben und sich nicht einzwängen lassen. Das ist beneidenswert, dass er so frei und lebendig bleibt.

H.: Wieder was Positives. Beppi wird mir richtig sympathisch.

Und nach einer Weile: „Jetzt habe ich eine verrückte Idee, Herr B., können Sie sich vorstellen, Beppi nächste Woche mit ins Seminar zu nehmen?“

B.: Wie meinen Sie das?

H.: Ich stelle mir vor, dass Ihre Kolleginnen und Kollegen alle einen inneren Schweinehund kennen. Nur heißen die natürlich alle anders und sind unterschiedlich. Wenn man allerdings mit und über sie ins Gespräch kommen könnte, würde das Seminar, das Sie so abtörnt, vielleicht ganz spannend werden. Ich kann es nicht beurteilen, wie flexibel die Referenten sind. Manchmal sind sie ja ganz dankbar für Ideen von den Teilnehmern.

B.: Sie meinen, ich soll mich mit Beppi dort outen? Das ist heikel … aber auch irgendwie 'ne lustige Idee. Darüber muss ich mal nachdenken.

H.: Das wäre ein Versuch, das Thema Arbeitsorganisation persönlich-praktisch werden zu lassen.

B.: Ja. Aber ich fürchte, dass ist zu durchgeknallt. Ich glaube, ich muss mit Beppi erst mal noch ein bisschen mehr ins Gespräch kommen. Ihn sozusagen weiter streicheln. Mal sehen, ob er dann ruhiger und auch kleiner wird. Meine Idealvorstellung wäre: Ich nehme ihn dann auf den Arm und gehe trotzdem meinen Weg, wenn ich mal geradeaus gehen will. Denn so schlecht ist das ja auch wieder nicht, mal mit etwas voranzukommen.

H.: Sicher, klar, so ist das. Mal geradeaus, mal rechts und links gucken, mal was wegschaffen, mal kreativ sein. Alles zu seiner Zeit.

„Ja, gut zusammengefasst“, sagt Herr B. Und: „Das Beppi-Bild möchte ich heute gerne mitnehmen.“ – „Kein Problem“, sage ich, „vielen Dank, dass Sie ihn mir vorgestellt haben.“

 

Herr B. steht auf, reißt den Papierbogen ab, rollt ihn zusammen und sagt dann noch schmunzelnd: „Über Ihre Frage, ob Beppi nicht auch älter wird und sich verändert, muss ich noch mal genauer nachdenken. Aber gut ist schon mal, dass er jetzt einen Namen hat ...“

„Ich war ja froh, dass er nicht unangenehm riecht ...“, sage ich und gebe Herrn B. zum Abschied die Hand. Wieder lachen wir gemeinsam.

„Danke“, sagt Herr B. beim Rausgehen und winkt im Flur noch mal mit der Papierrolle. „Bis zum nächsten Mal.“

© Hartwig Hansen

 

Erschienen in der Zeitschrift Praxis Kommunikation, Heft 1/2015.